Das brasilianische Netflix Krimi „Outlaw“ unter der Regie von João Wainer erzählt die spannende Geschichte des Aufstiegs einer jungen Frau an die Macht in einem von Drogendealern überrannten Slum – oder Favela – in Rio de Janeiro. Rebeca steht schon in jungen Jahren vor Herausforderungen, nachdem ihre Großmutter sie im Alter von neun Jahren an den örtlichen Drogenbaron Amoroso verkauft hat. Doch trotz aller Widrigkeiten bleibt sie hartnäckig und entpuppt sich als Gesetzlose, die in den Köpfchen und Muskeln eines Drogengeschäfts geschult ist. Während die Machtverschiebung in der Rocinha-Favela anhält, bleibt Rebeca im Mittelpunkt des Geschehens und wird zur Frau des Chefdrogendealers.
Der Film bietet einen oft ungesehenen Einblick in eine einzigartige Biosphäre, die von kriminellen Banden regiert wird. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Frage, wie ein ungeschütztes Individuum innerhalb dieses Systems die Leiter hinaufstieg, um ganz nach oben zu gelangen. So taucht die Erzählung in die Drogenunterwelt ein und untersucht Themen sozialer Verletzlichkeit durch die Linse eines Coming-of-Age-Geschichte . Doch haben diese Geschichte und ihr Protagonist irgendeinen Bezug zur Realität?
„Outlaw“, ursprünglich bekannt als „Bandida: A Número Um“, ist von dem Buch „A Número Um“ aus dem Jahr 2015 inspiriert, in dem die Autorin Raquel de Oliveira eine Geschichte erzählt, die auf wahren Ereignissen aus ihrem Leben basiert. Der Roman verzichtet aufgrund der kleinen Ausschmückungen und Fiktionalisierungen, die der Autor der Geschichte hinzugefügt hat, auf den biografischen Titel. Dennoch bleibt „A Número Um“ eine wahre Geschichte, abgesehen von der teilweisen Dramatisierung in der Erzählung des Buches, die darauf zurückzuführen ist, dass Oliveira ihre Erfahrungen Jahre später erzählt.
Indem der Film auf der Geschichte aufbaut, die in Oliveiras nahezu autobiografischem Werk präsentiert wird, stärkt er daher von Natur aus seine Bindung an die Realität. Dennoch geht der Film im Gegensatz zum Buch lieber noch weiter auf Distanz zum wirklichen Leben. Aus dem gleichen Grund fiktionalisiert der Film, indem er Oliveiras wirkliches Leben auf die Leinwand überträgt, die Namen und Details des Lebens der echten Frau. So wird Raquel de Oliveira zu Rebeca, da auch die Charaktere um sie herum neue erfundene Namen erhalten. Dennoch bleibt der Film größtenteils den Tatsachen treu und stellt mehrere Momente aus der gelebten Realität des zum Gesetzlosen gewordenen Autors wieder her.
Darüber hinaus legte Regisseur João Wainer Wert darauf, ein gewisses Maß an Authentizität zwischen seiner Darstellung der Favela Rocinha in den 70er und 80er Jahren auf der Leinwand und der Realität aufrechtzuerhalten. Aus dem gleichen Grund sollen er und sein Team im Rahmen ihres Forschungsprozesses Gespräche mit der lokalen Bevölkerung und Historikern geführt haben. Dies half Wainer und seinem Team dabei, einen Sinn für Realismus bei der Charaktererstellung und dem visuellen Setting zu bewahren. Tatsächlich hatte das Filmteam während der Dreharbeiten häufig einen Rocinha-Bewohner am Set dabei, der in solchen Angelegenheiten als leitender Ansprechpartner fungierte. Folglich profitiert „Outlaw“ von seinem realistischen Quellenmaterial sowie umfangreichen Recherchen und entwirft letztendlich eine Geschichte, die zutiefst von der Realität inspiriert bleibt.
Durch seinen realen Bezug weist „Outlaw“ offensichtlich eine Parallele zu den tatsächlichen Ereignissen seiner Protagonistin Rebeca auf. Trotz der gelegentlichen Fiktionalisierung finden die Figur und ihre Erfahrungen im Film eine offensichtliche Grundlage im Leben von Raquel de Oliveira. Auch Oliveira wuchs in der Favela Rocinha auf. In ihrer frühen Kindheit begleitete sie ihre Mutter zum Haus ihres Chefs an der Copacabana, bevor sie im Alter von sechs Jahren allein zurückgelassen wurde. Kurz darauf, im Alter von neun Jahren, verkaufte ihre Großmutter sie in der von Kriminalität geprägten Nachbarschaft. Als junges Mädchen gelang es Oliveira jedoch irgendwie, dem Schicksal der Zwangsprostitution zu entgehen und sich stattdessen als waffenschwingende Banditin ausbilden zu lassen.
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Infolgedessen wurde sie in den 1980er Jahren die Freundin des berüchtigten Ednaldo de Souza, alias Naldo – des meistgesuchten Drogendealers in Rio – und begann, den Drogenhandel rund um die Favela zu leiten. Für die Frau kam es im Juli 1988 zu einer Tragödie, als de Souza bei einer Schießerei ums Leben kam und sein Imperium Oliveira überließ. Auch wenn sie über de Souzas Verlust und den Tod weiterer Mitglieder ihrer Bande am Boden zerstört war, übernahm die junge Gesetzlose das Amt und gründete ihre eigene Bande in der Favela. Obwohl Rebecas Geschichte in diesem Teil von Oliveiras Leben endet und damit ein filmisches Ende ihrer Geschichte auf der Leinwand darstellt, zog sich die echte Frau aus der Drogenunterwelt zurück, um Genesung und Rehabilitation von ihrer Drogenabhängigkeit zu suchen.
Während ihrer Genesung schrieb Oliveira den Roman, der schließlich zu „A Número Um“ wurde. Der Film stellt sogar eine Parallele zu diesem Aspekt des Lebens der Autorin dar, indem er seine Erzählung als eine Erzählung von Rebeca gestaltet, während die Frau sich am Rande ihres Ablebens befindet. Während dies ein eher fiktiver Aspekt von Rebecas Geschichte bleibt, ermöglicht es der Figur, auf die gleiche Weise zum Erzähler ihrer Geschichte zu werden, wie Oliveira ihre Geschichte in ihrem Roman niedergeschrieben hat. Auch wenn Rebecas Erzählung Momente kreativer Freiheit nutzt und bestimmte Details ihres Lebens fiktionalisiert, bleibt ihre Figur eine unbestreitbare Darstellung von Oliveira auf der Leinwand.